Die archäologischen Hinterlassenschaften in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Vernichtungsorten (Die Kontextualisierung der Funde)
Bisherige Forschungen zu nationalsozialistischen Zwangslagern und Vernichtungszentren. Zwangslagern fokussierten sich häufig auf Untersuchungen zu allgemeinen Lagerstrukturen, den Baracken, Umzäunungen und den Tötungseinrichtungen. Der Vielzahl der Funde wurde nur für bestimmte Aspekte vertiefte Aufmerksamkeit gewidmet, genannt seien durch die Objekte erkennbare Bewältigungsstrategien oder die Identifizierung bestimmter Opfer. In diesem Forschungsprojekt sollen die Funde erstmals umfassend im Hinblick auf die Kontextualisierung der jeweiligen Zwangslager und Vernichtungszentren analysiert werden.
Essentiell für das Forschungsprojekt ist die stringente Beachtung der Voraussetzungen für die Fundassemblagen an den unterschiedlichen Orten. Die Einlieferung in ein Konzentrationslager, die sogenannte „Schutzhaft“ oder die Deportation in ein Vernichtungszentrum oder der Transport in eine NS-Euthanasietötungsanstalt waren durch das NS-Regime unterschiedlich strukturiert und unterschiedlich determiniert. Dies geht aus Zeitzeug*nnenberichten, Merkblättern und anderen Dokumente zu den Abläufen von Deportationen und zu Inhaftierungen in Konzentrationslagern hervor. Es gilt zu untersuchen, ob diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Abläufe sich in einer objektbasierten Perspektive spiegeln.
Konzentrationslager waren darauf ausgelegt, dass die Menschen dort gefangen gehalten wurden und zur Zwangsarbeit herangezogen. Als (unzulängliche) Unterkunft diente eine Vielzahl von Baracken. Die Versorgung mit Überlebensnotwendigen, ob Nahrung, Kleidung oder medizinische Versorgung war ohne jeden Zweifel katastrophal. Ziel und Sinn war jedoch der Verbleib im Lager und die Ausbeutung der Arbeitskraft. Und es bestand die Chance, zu überleben. Im Rahmen der Aufnahmeprozedur wurden den Menschen ihr Hab und Gut abgenommen und – zumindest offiziell – in Effektenkammern verwahrt. Nur wenige Gegenstände durften sie behalten, wie etwa einen Becher oder eine Schale, Löffel und vielleicht essentielle Hygieneartikel. Dies sind Kategorien, die regelhaft bei archäologischen Untersuchungen in ehemaligen Zwangslagern geborgen werden. Hier ist zudem wichtig zu betonen, dass etliche der Objekte von den Häftlingen selbst fabriziert oder modifiziert wurden – oder um ein physisches oder psychisches Überleben zu ermöglichen.
Grundlegend anders ist dies bei den NS-Vernichtungszentren, insbesondere in Kulmhof, Treblinka, Belzec, Malyj Trostenez und Sobibor, hier bestanden (im Gegensatz zu Auschwitz-Birkenau und Majdanek) auch keine Baracken für die Unterbringung der Opfer. Unter fadenscheinigen Hinweisen auf eine Umsiedlung, z. B. in das sog. Generalgouvernement Polen, erhielten an ihrem letzten Aufenthaltsort vor der Deportation eine Liste mit einzupackenden Dingen. Gold und Wertgegenstände durften nicht mitgenommen werden und die Wohnungsschlüssel mussten abgegeben werden. Am Ziel angekommen wurden die Menschen direkt ermordet, der in Koffern und Rucksäcken eingepackte persönliche Besitz verblieb zunächst am Ort. Ein großer Teil konnte bei archäologischen Ausgrabungen wiedergefunden werden, andere Objektkategorien fehlen, die sich z.B. wohl die Wehrmacht, die nationalsozialistische Volkswohlfahrt oder das Winterhilfswerk NS-Organisatoren widerrechtlich angeeignet haben.
In die NS-Euthanasieanstalten wurden Menschen getötet, die nach der nationalsozialistische Rassenlehre bzw. der NS-Rassenhygiene psychisch krank und behindert waren. Eine Vernichtung des „unwerten Lebens“ fand in den Jahren 1939 bis 1941 in sechs NS-Euthanasieanstalten statt (sog. Aktion T4). Die Opfer wurden von Spitälern in die NS-Euthanasietötungsorte transportiert und dort direkt ermordet. Die in in der NS-Euthanasie-Anstalt Hartheim entdeckten Funde zeigen den Besitz der Opfer, welchen Sie in den Spitälern bei sich hatten. Nach Beendigung der sog. Aktion T4 im August 1941 wurden weitere Ermordungen im Rahmen der sogenannten „Sonderbehandlung 14f13“ durchgeführt.
In dem Forschungsprojekt soll untersucht werden, welche Objekte bzw. Objektgruppen (z.B. Geschirr und Besteck, Körperpflegemittel, Medizin, Schmuck, ….) sich in allen Terrororten finden und welche spezifisch für die unterschiedlichen Zwangslager und Vernichtungszentren sind. Welche Objektgruppen und Objekte kommen nur in ehemaligen Konzentrationslagern vor, welche sind ausschließlich aus der NS-Euthanasietötungsanstalt Hartheim bekannt und welche Gegenstände lassen sich nur an Vernichtungszentren finden? Die detaillierte Analyse wird es zudem erlauben, stärker die vielen unterschiedlichen Häftlingsgruppen zu differenzieren. Durch Objekte können z.T. Aussagen zur Herkunft, zur Religiösität oder auch zu sozialen und gesellschaftlichen Rollen, zu Männern, Frauen und auch Kindern gewonnen werden.
Im Mittelpunkt stehen die ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen, Flossenbürg und Ravensbrück, die Vernichtungszentren Sobibor und Belzec sowie die NS-Euthanasieanstalt Hartheim.
Literatur: Cl. Theune, Eine kontextbezogene Betrachtung der Funde aus der NS-Euthanasieanstalt Schloss Hartheim. Sonius 32, 2023, 3-8.
Das Projekt wird in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg,, der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, dem Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim und Museum aand Memorial Sobibor durchgefüht. Für die ausgezeichnete Zusammenarbeit und Partnerschaft möchte ich mich herzlich bedanken.
Das Forschungsprojekt wird freundlicherweise finanziert durch den Nationalfonds der Republik Österreich und den Zukunftsfonds der Republik Österreich.